Zelluläre Automaten - Bakterien

Krieg der Kulturen

Wir wollen nun einen sehr interessanten Versuch auf dem Computer starten: Wir siedeln auf einem Spielfeld zwei bis neun zweidimensionale Zelluläre Automaten an verschiedenen Orten an. Die Automaten sind binär, besitzen also nur zwei Zustände: Ein oder Aus. Jeder Automat hat neun zufällige Produktionsregeln in Form einer achtstelligen binären Zahl (00000000 bis 11111111 bzw. 0 bis 255). Zuerst errechnet der Computer eine ebenfalls achstellige "Umgebungszahl" aus der Moore Nachbarschaft, wie das Bild N° 1 zeigt.

Moore-Nachbarschaft

Bild N° 1: Umgebungszahl

Dann vergleicht er diese Umgebungszahl mit allen neun Produktionsregeln. Ist eine oder mehrere Produktionsregeln gleich der Umgebungszahl, so erwacht die mittlere Zelle (hellblau) zum Leben, ansonsten stirbt sie oder bleibt tot. Wollen zwei Automaten denselben Punkt des Feldes besetzen, so soll der Zufall entscheiden, welcher von den beiden den Punkt auf dem Spielfeld erhält. Wir nennen diese Automaten fortan Kulturen.

Die ersten paar Schritte nach dem Start verlaufen tragisch: Die meisten zufälligen Produktionsregeln sind unbrauchbar und bescheren unseren Kulturen ein kurzes Leben. Entweder sterben sie sofort oder sie wandern nach ein paar Schritten über den Rand des Spielfeldes.1 Auf dem Bildschirm sieht das etwa so aus:

1Wir sprechen an dieser und an weiteren Stellen stets vom Normalfall.

Sterbende Kulturen

Bild N° 2: Spielfeld mit sterbenden Kulturen

Ist eine Kultur tot, so wird sie mit neuen Produktionsregeln an einem zufälligen Ort auf dem Feld gestartet. Allerdings überlassen wir Wahl der Regeln nicht mehr ganz dem Zufall. Die Chancen stehen wie folgt:

Damit ist gewährleistet, dass Regeln, die sich bewähren, erhalten bleiben und solche, die dies nicht tun, aussterben. Damit aber überhaupt eine Entwicklung stattfindet, müssen auch neue Regeln ins Spiel kommen. Darum wird ein Fünftel aller Regeln neu gebildet. Man könnte also von Vererbung und Mutation im weitesten Sinne sprechen.
Nach etlichen Schritten und Mutationen, je nachdem wie der Zufall es will, findet eine entscheidende Wandlung statt: Eine der Kulturen beginnt zu wachsen, indem sie eine eindimensionale Kette bildet.2
Die anderen Kulturen übernehmen diese Verhaltensweise sehr rasch:

2 Im Normalfall

Kettenförmige Kulturen

Bild N° 3: Spielfeld mit kettenförmigen Kulturen

Die kettenförmigen Kulturen verhalten sich wie eindimensionale Zelluläre Automaten. Sie tauchen entweder horizontal, vertikal oder in schräger Lage auf. Oft sind sie alle gleich orientiert. Ein Verhalten, das wir ebenfalls häufig beobachteten ist, dass sich die gesamte Kultur pro Zeitschritt eine Zelle seitwärts, d.h. im rechten Winkel zu ihrer Hauptachse, bewegt. Kulturen, die diese Eigenschaft aufzeigen, überleben allerdings nur kurze Zeit, da sie bald über den Rand des Spielfeldes wandern.

Der nächste große Entwicklungssprung ist die Eroberung der zweiten Dimension. Es dauert oft sehr lange, bis sich die erste Kultur flächig ausbreitet. Das kann zwei Gründe haben.

Diesen öden Zustand erkennt man dadurch, dass alle Kulturen gleich aussehen und sich auch gleich verhalten. Nach einigen hundert Schritten kann diese Situation jedoch meistens überwunden werden.
Diese beiden Tatsachen werden uns bei der Interpretation sehr hilfreich sein.
Hat jedoch eine erste Kultur diesen "2D-Sprung" geschafft, breitet sie sich mit großer Geschwindigkeit aus. Die anderen, jetzt plötzlich mickrig erscheinenden Kulturen, übernehmen dieses Verhalten sehr rasch. Auf dem folgenden Bild (N° 4) ist der Anfang einer zweidimensionalen Entwicklungsphase zu sehen. Es präsentieren sich hier gleich zwei Wachstumsmuster: Das in diesem Spiel bisher erfolgreichste, graue, mit einer Dreieckskonstruktion und jenes, nach dem sich die hellblaue und die violette Kultur richten.

Flächige Kulturen

Bild N° 4: Spielfeld mit ersten flächigen Kulturen

Das anfangs friedliche Spielfeld wird nun zu einem Schlachtfeld auf Leben und Tod: Die zwei nächsten Szenen zeigen ein weiteres Stadium der Eroberung der zweiten Dimension (Bild N° 5), und die vollständige Inbesitznahme (Bild N° 6):

Eroberung Inbesitznahme

Bild N° 5: Eroberung und Bild N° 6: Besetztes Schlachtfeld

Wie gravierend dieser Entwicklungsschritt ist, verdeutlicht das untenstehende Histogramm, das die Anzahl der Zellen pro Kultur (y-Achse) im Verlauf der Zeit (x-Achse) ab dem Zeitpunkt vergleicht, an dem die blaue Kultur den 2D-Sprung geschafft hat. Kurz darauf folgt ihr die gelbe, später mit unterschiedlichem Erfolg Violett, Grün, Grau, Hellblau und Rot.

Histogramm der Kulturen

Bild N° 7: Histogramm der Kulturen

Einige zu Beginn schwache Kulturen wie Grau und Violett wachsen zunehmends auf Kosten der anfangs starken Kulturen und überholen diese sogar. Grün und Violett ihrerseits werden in einigen Zeitschritten von Hellblau überholt. Blau, Gelb und Grün verkümmern und sterben aus.
Das ständige Wechseln der Leaderposition ist der Beweis für eine ständig fortschreitende Evolution.

Anmerkung: Theorie des unterbrochenen Gleichgewichts